Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Schleswig
Beschluss verkündet am 19.01.2001
Aktenzeichen: 4 W 47/99
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 196 I Nr. 9
BGB § 222 I
BGB § 812 I
BGB § 823
BGB § 847
BGB § 852
Die 1999 von ehemaligen Zwangsarbeitern erhobene Ansprüche wegen Zwangsarbeit sind verjährt.

SchlHOLG, 4. ZS, Beschluss vom 19. Januar 2001, - 4 W 47/99 -,


Beschluss

4 W 47/99 13 O 125/99 LG Kiel

In dem Prozesskostenhilfeverfahren

des Herrn

Antragstellers,

- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwältin

gegen

1. vertreten durch den Geschäftsführer

2. vertreten durch die Geschäftsführer

Antragsgegnerinnen zu 1. und 2.,

- Verfahrensbevollmächtigte: Rechtsanwälte

hat der 4. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig am 19.01.2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Kiel vom 01.09.1999 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I. Der Antragsteller, geboren am 17.11.1909, ist (heute) estnischer Staatsangehöriger. Er erstrebt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er wegen ihm 1944/45 in Deutschland abgenötigter Zwangsarbeit die beklagten Unternehmen auf einen materiellen und immateriellen Ausgleich in Anspruch nimmt.

Nach Ausweitung des 2. Weltkrieges auf das Gebiet der Sowjetunion (UdSSR) begann auch dort die Deportation von Arbeitskräften in das Deutsche Reich. In ihrem Zuge wurde der Antragsteller verschleppt und am 25.05.1944 in das Konzentrationslager (KZ) Buchenwald eingeliefert. Dort wurde er als Häftling aufgrund seiner fachlichen Qualifikation als Student einer Technischen Hochschule ab Anfang 06/1944 dem "Gerätebaukommando A." zugewiesen, das für die "Feinmechanischen W." in Kiel arbeitete. Es wurde nach Zerstörung der Produktionsstätte in Buchenwald durch einen Bombenangriff in 08/1944 über das KZ N. in das KZ-Außenkommando Hohwacht verlegt. Von dort wurde der Antragsteller an jedem Werktag zur Produktionsstätte jenes Unternehmens in Kiel-Diedrichsdorf zwecks Ableistung einer 11stündigen Zwangsarbeit ohne jede Entlohnung verbracht. Ende 04/1945 wurde er durch den Einmarsch britischer Truppen befreit.

Die "Feinmechanischen W." war zu 100 % eine Tochter der A. & Co. GmbH in Kiel, die dann auch deren Vermögen nach Auflösung (infolge alliierten Produktionsverbots) als Ganzes übernommen hat. Sie selbst wird nach 1995 erfolgter Umbenennung von der Antragsgegnerin zu 1. fortgesetzt. -

Die 1972 gegründete Antragsgegnerin zu 2. hat 1994/95 ihren Sitz (von Balingen) nach Kiel verlegt, zumindest wesentliche Teile des von der Antragstellerin zu 1. betriebenen Unternehmens übernommen und ihre Firma zunächst in "R." geändert und alsdann 1998 erneut umfirmiert.

II. Das Landgericht hat dem Antragsteller Prozesskostenhilfe versagt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 ZPO): den möglichen zivilrechtlichen Ansprüchen stünde nämlich die erhobene Einrede der Verjährung (§ 222 Abs. 1 BGB) entgegen. -

Dieser Auffassung ist beizutreten, so dass auch die Beschwerde (§ 127 Abs. 2 ZPO) nicht begründet ist.

1. Für die Beurteilung der Erfolgsaussichten hat deren Verschlechterung während des PKH-Verfahrens hier außer Betracht zu bleiben, wie es einer zunehmend befolgten Auffassung entspricht. Maßgeblich für die Erfolgsprognose ist demnach der Kenntnisstand zur Zeit der Entscheidungsreife (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl. 2001, § 119 Rn 44 ff).

Folglich bleibt das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 02.08.2000 (BGBl I 1263 ff) hier unberücksichtigt. Nach dessen § 16 Abs. 1 S. 1 können Leistungen aus Mitteln deutscher Unternehmen für erlittenes nationalsozialistisches Unrecht i. S. v. § 11 nur (noch) nach diesem Gesetz beantragt werden. Danach stehen einem Zwangsarbeiter gegenüber dem Unternehmen, für das er in den Kriegsjahren eingesetzt worden ist, Forderungen nicht mehr zu. Diese Ausschlussnorm hat der BGH in einem Beschluss vom 30.11.2000 (III ZB 46/00) hingenommen und keinen Anlass zu verfassungsmäßigen Bedenken gefunden.

2. a) Die Zulässigkeit des ordentlichen Rechtswegs hat das Landgericht zutreffend für gegeben erachtet. Es handelt sich bei der eingereichten Klage zum einen um eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, weil es um die Rechtsbeziehungen zwischen Privatrechtsubjekten geht. Das Unternehmen, für das der Antragsteller Zwangsarbeit verrichten musste, war den vorgetragenen Umständen nach ihm gegenüber auch nicht damit betraut, eigenständig Staatsaufgaben wahrzunehmen (Beliehener) oder zumindest unselbständige Hilfstätigkeiten für eine Behörde auszuüben (Verwaltungshelfer). Und zum anderen ist auch nicht die ausschließliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts gem. § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG begründet; denn der Antragsteller stand zu dem Unternehmen, für das ihm Zwangsarbeit abgenötigt wurde, nicht in einem Arbeitsverhältnis. Dazu fehlte es an der insoweit erforderlichen einvernehmlichen Erbringung von Arbeit auf vertraglicher Grundlage (vgl. BAG NJW 2000, 1438, 1439).

b) Die Passivlegitimation der Antragstellerin zu 1. wird von ihr nicht in Zweifel gezogen. Hingegen scheidet eine originäre Haftung der Antragsgegnerin zu 2. aus, weil sie erst 1992 gegründet worden ist. Der Antragsteller begründet ihre Inanspruchnahme, da sie 1994/95 zumindest wesentliche Teile des von der Antragsgegnerin zu 1. betriebene Unternehmens übernommen hat, mit der Haftung aus Vermögensübernahme gem. § 419 BGB a. F. und wegen Firmenfortführung gem. § 25 Abs. 1 HGB. Die Frage, ob deren - streitige - Voraussetzungen erfüllt sind, kann freilich offen bleiben; denn die auch von der Antragsgegnerin zu 2. erhobene Verjährungseinrede dürfte jedenfalls einem Erfolg der Klage entgegenstehen.

3. a) Zivilrechtliche Vergütungs- und Schadensersatzansprüche von Angehörigen eines kriegsführenden Staates, die der Zwangsarbeit zugeführt worden sind, gegen deutsche Unternehmen waren nach der Rechtsprechung von Art. 5 Abs. 2 Londoner Schuldenabkommen (LSchA) vom 27.02.1953 betroffen (vgl. BGH MDR 1963, 492 f und NJW 1973, 1449 ff; verkannt von LG Hamburg NJW 1999, 2825). Danach wurde eine Prüfung derartiger aus dem 2. Weltkrieg herrührender Forderungen bis zu der endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt. Dafür kam es nach der Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Heimatstaat des Gläubigers dem Abkommen beigetreten war oder nicht (vgl. BGH NJW 1973, 1549, 1551 m. Nachw.). Diese Vorschrift dürfte hier eingegriffen haben, weil der Antragsteller wegen des 1940 (unter Druck) erfolgten Beitritts von Estland zur UdSSR Staatsangehöriger eines kriegsführenden Staates war und zudem dessen Gebiet von Deutschland besetzt worden ist. Die Regelung wurde von der Rechtsprechung dahin verstanden, dass Klagen als zur Zeit unbegründet abgewiesen werden mussten. Das hatte zur Folge, dass die Verjährung der zivilrechtlichen Ansprüche bis auf weiteres als gehemmt zu erachten war (§§ 202 f BGB analog).

Die eingetretene Hemmung dürfte jedoch nach zunehmend gefestigter Rechtsprechung mit dem Inkrafttreten des Vertrags über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland vom 12.09.1990, des sog. Zwei-plus-Vier-Vertrags, geendet haben (vgl. OVG Münster, NJW 1998, 2302 ff; LG Berlin, NJW 2000, 1958 f; KG OLG R 2000, 257, 259 f; ferner LG Stuttgart und Hannover nach FAZ vom 26.01. und 02.12.2000). Zwar verhält sich jener Vertrag nicht ausdrücklich zur Frage der aus dem 2. Weltkrieg herrührenden Reparationsforderungen. Er regelt vielmehr seinem wesentlichen Inhalt nach für das vereinte Deutschland die endgültigen Grenzen und die Wiederherstellung der vollen Souveränität über die inneren und äußeren Angelegenheiten. Da er aber - so: die Präambel - "die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" darstellt, wird es keinerlei weitere (friedens-)vertragliche Regelungen mehr geben, so dass sich die Reparationsfrage und die deshalb in Art. 5 Abs. 2 LSchA vereinbarte Rückstellung erledigt haben. Somit dürfte die Vorschrift seit dem 15.03.1991, dem Inkrafttreten des Zwei-plus-Vier-Vertrages, einer gerichtlichen Überprüfung von aus dem 2. Weltkrieg herrührenden Individualforderungen nicht mehr entgegenstehen.

b) Demgegenüber ist der Antragsteller - auch in seiner Beschwerde - der Ansicht, der Lauf der Verjährungsfrist sei noch weiter gehemmt gewesen bis zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 13.05.1996, veröffentlicht am 02.07.1996 (vgl. NJW 1996, 2717 ff). Darin wird für NS-Zwangsarbeiter ein völkerrechtlicher Grundsatz der "Exklusivität", wonach Ansprüche aus innerstaatlichem Recht, die auf Kriegsereignissen beruhten, nicht individuell durchsetzbar seien, sondern nur auf zwischenstaatlicher Ebene geltend gemacht werden könnten, verneint. Vielmehr bleibe es zufolge der gebotenen Unterscheidung zwischen Ansprüchen nach Völkerrecht und nach nationalem Recht dem das Völkerrecht verletzenden Staat unbenommen, der verletzten Person aufgrund des eigenen, nationalen Rechts Ansprüche zu gewähren (sog. Anspruchsparallelität).

Indem der Antragsteller auf diese Entscheidung abhebt, macht er sich der Sache nach eine Auffassung zu eigen, wonach die Verjährung von Ansprüchen gehemmt sein soll, solange ihre gerichtliche Geltendmachung infolge einer "anspruchsfeindlichen" ständigen Rechtsprechung unzumutbar sei. Ob darin jedoch allgemein ein Hemmungsgrund anzuerkennen ist oder wenigstens ausnahmsweise für neue, durch richterliche Rechtsfortbildung geschaffene Ansprüche, ist umstritten (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, § 203 Rn 7) und kann hier auf sich beruhen. Es fehlt nämlich bereits an der Voraussetzung einer "anspruchsfeindlichen" ständigen Rechtsprechung (so auch KG OLG R 2000, 257, 260). Die Abweisung der Klage von Zwangsarbeitern erfolgt nämlich nur im Hinblick auf die durch Art. 5 Abs. 2 LSchA vorgeschriebene (vorläufige) Zurückstellung als zur Zeit unbegründet, nicht jedoch schlechthin im Hinblick auf einen Grundsatz der Exklusivität völkerrechtlicher Entschädigung, der vielmehr in Zweifel gezogen (BGH MDR 1963, 492, 493) oder nicht einmal erwogen wurde (BGH NJW 1973, 1549, 1552).

4. Die erhobene Verjährungseinrede (§ 222 Abs. 1 BGB) dürfte gegenüber den geltend gemachten Ansprüchen durchgreifen, die sich nach deutschem Recht bestimmen (vgl. Artt. 38 Abs. 2 und 40 Abs. 1 EGBGB).

a) Eine Vergütung für die ihm abgenötigte Zwangsarbeit verlangt der Antragsteller gem. § 812 Abs. 1 S. 1 (2. Alt.) BGB. Zwar beträgt für Ansprüche wegen ungerechtfertigter Bereicherung die Verjährungsfrist grundsätzlich 30 Jahre (§ 195 BGB und Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 195 Rn 7). Aber Ansprüche aus gewerblicher Arbeit verjähren gem. § 196 Abs. 1 Nr. 9 BGB in zwei Jahren. Dabei ist es nach der Rechtsprechung gleichgültig, ob der Anspruch auf Vertrag, Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff BGB) oder aber auf Bereicherung gestützt wird (vgl. Palandt/Heinrichs, a. a. O., § 196 Rn 23). Da die kurze Verjährung demnach alle Vergütungsansprüche ergreift, die aus der tatsächlichen Erbringung von Arbeit hergeleitet werden, wird sie auch für eine Zwangsarbeit, wie vom Antragsteller erbracht, angewendet (vgl. BGHZ 48, 125, 127 ff). Somit war sie längst vollendet, als er 1999 seine Ansprüche gerichtlich geltend gemacht hat. Das gilt im übrigen auch für die 4jährige Frist des § 197 BGB, falls es sich um regelmäßig wiederkehrende Leistungen im Sinne dieser Vorschrift handeln würde.

b) Ansprüche aus unerlaubter Handlung (§§ 823 ff BGB), die für den Antragsteller wegen widerrechtlicher Verletzung seiner Freiheit und seines Persönlichkeitsrechts wegen erfolgter Beteiligung gem. § 830 BGB auch gegenüber den Antragsgegnerinnen in Betracht kommen können, dürften gleichermaßen 1999 längst verjährt gewesen sein. Nach § 852 Abs. 1 BGB beträgt die Frist grundsätzlich drei Jahre seit Kenntnis von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen. Demnach dürfte sie für das beanspruchte Schmerzensgeld (§ 847 Abs. 1 BGB) annehmbarerweise bereits 1994 abgelaufen sein.

Selbst § 852 Abs. 3 BGB, der von jener Vollendung der Verjährung an sich absieht, dürfte dem Antragsteller nicht einmal zu einer Vergütung für die ihm auferlegte Zwangsarbeit verhelfen. Indem für die Herausgabe des dadurch Erlangten auf die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung verwiesen wird, ist nach der Rechtsprechung insoweit auch die Verjährungsfrist maßgebend, die für Vergütungsansprüche wegen der tatsächlichen Leistung von Arbeit § 196 Abs. 1 Nr. 9 oder § 197 BGB zu entnehmen ist (vgl. BGHZ 48, 125, 133).

5. Auch weitere Gesichtspunkte vermögen nicht zu einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu verhelfen.

a) Der Erhebung der Verjährungseinrede dürfte nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen, für den ein strenger Maßstab anzulegen ist (vgl. BGH NJW 1988, 2247). Er wird regelmäßig nicht schon durch menschenunwürdige und quälende Umstände, unter denen die unerlaubte Handlung - wie hier gegenüber dem Antragsteller - begangen worden ist, begründet (vgl. BGHZ 48, 125, 133 f). Andererseits gehen Unkenntnis von Beginn und Dauer der Verjährung grundsätzlich zu Lasten des Gläubigers. Der Antragsteller ist auch nicht durch ein Verhalten der Antragsgegnerin von der rechtzeitigen Klagerhebung abgehalten worden. Es gab für ihn auch keinerlei Anlass, darauf zu vertrauen, sein Anspruch werde auch ohne Rechtsstreit befriedigt oder nur mit Einwendungen in der Sache bekämpft werden (vgl. Palandt/Heinrichs, a. a. O., Rn 10 ff vor § 194).

b) Schließlich darf das PKH-Verfahren nicht dazu gereichen, über schwierige, bislang ungeklärte Rechtsfragen im Vorgriff auf das Hauptsacheverfahren bereits abschließend zu befinden. Andererseits ist nicht allein schon wegen des Fehlens einer höchstrichterlichen Entscheidung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, soweit es sich um nicht umstrittene und auch nicht schwierige Rechtsfragen handelt (vgl. Zöller/Philippi, a. a. O., § 114 Rn 21 m. Nachw.). Davon dürfte hier jedoch auszugehen sein. Die durch das LSchA bewirkte Hemmung dürfte durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag als "abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland" ohne weiteres entfallen sein. Und für eine weitere Hemmung bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 13.05.1996 fehlte es jedenfalls schon an der Voraussetzung einer "anspruchsfeindlichen" ständigen Rechtsprechung.

Ende der Entscheidung

Zurück